- Von Andreas Harms
- 17.01.2022 um 14:01
Nach vielen sehr, sehr ruhigen Monaten kommt Bewegung in Anleihen und Zinsen. „Die Zinswende naht!“, oder so ähnlich tönt es derzeit laut aus den einschlägigen Überschriften. Und ja, inzwischen hat sich die Inflation dies- und jenseits des Atlantik ziemlich hartnäckig über 5 Prozent festgebissen. Das setzt selbst die sonst so stoische Europäische Zentralbank (EZB) einigermaßen kräftig unter Druck, vielleicht doch mal weniger Anleihen zu kaufen oder gar den Leitzins zu erhöhen. Die US-Kollegen von der Federal Reserve sind sogar schon einige Schritte weiter. Manche Marktbeobachter erwarten bereits, dass sie in diesem Jahr viermal die Leitzinsen höher ziehen.
Das hinterlässt Spuren am Markt für Anleihen. In den USA stieg die Rendite für zehnjährige Staatspapiere von 1,30 Prozent vor einem halben Jahr auf heute 1,79 Prozent (Stand: 17. Januar 2022). Klingt wenig, ist aber für einen solch sicheren Hafen eine ganze Menge. Die zehnjährige Bundesanleihe rentiert heute bei minus 0,03 Prozent und kratzt damit nach Jahren mal wieder an der Nullgrenze, vor sechs Monaten waren es noch minus 0,35 Prozent. Finanzprofis wie der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, gehen sogar davon aus, dass die Rendite in diesem Jahr noch auf 0,3 Prozent steigt. Mindestens.
Anleihe mal anders
Diese Lebensversicherer stehen am stabilsten da
Aber warum sind steigende Renditen ein Problem?
Wer keine Anleihen hat, der hat auch gar kein Problem. Allerdings haben eine ganze Menge Menschen Anleihen. Zum Beispiel jeder, der irgendwie versichert ist. So meldete der Versicherungsverband GDV, dass die Geldanlagen aller Erstversicherer Ende 2020 im Durchschnitt zu 81,5 Prozent aus Anleihen bestanden. Das macht die aktuelle Entwicklung für die Unternehmen höchst brisant, sie könnte sich auf die Jahresergebnisse auswirken. Denn Anleihekurse fallen, wenn die Renditen steigen. Oder andersherum ausgedrückt: Die Rendite einer Anleihe ist höher, je niedriger der Kurs liegt. Der Gewinn liegt eben im Einkauf.
Dabei lässt sich nur schwer sagen, welcher Impuls den Ausschlag gibt: Verkaufen Anleger, weil sie höhere Renditen wollen? Oder steigen die Renditen, weil Anleger einfach raus wollen? Meistens geht jedoch beides Hand in Hand.
Der Begriff „Renditen steigen“ bezieht sich dabei immer auf die Frage: „Welche Rendite bekomme ich bis zum Laufzeitende der Anleihe, wenn ich jetzt kaufe?“ Also welchen Kursgewinn oder -verlust erziele ich bis Laufzeitende, und welche Zinsen bekomme ich bis dahin zusätzlich über den Zinskupon. Das rechnet man über eine nicht ganz einfache Renditeformel zusammen und erhält so die erwähnte ausschlaggebende Rendite. Immer unter der Voraussetzung, dass der Schuldner am Ende die Anleihe zu 100 Prozent zurückzahlen kann.
Duration als Hilfsmittel, um Kursverluste zu messen
Mit zurückliegenden Kursverläufen haben diese Renditeangaben hingegen rein gar nichts zu tun. Die betreffen nur alle Anleger, die schon gekauft haben und somit investiert sind. Aber auch bei ihnen ist das Leid zeitlich begrenzt. Denn selbst wenn Anleihekurse zwischenzeitlich regelrecht absaufen, zahlt der Schuldner am Ende zu 100 Prozent zurück (wenn er denn zahlen kann). Das macht Anleihen dann doch ziemlich berechenbar, weshalb Versicherer Restlaufzeiten immer auch auf ihre Fälligkeitskalender abstimmen.
Des einen Freud ist somit des anderen Leid. Können sich jene, die noch Geld an der Seitenlinie haben, jetzt höhere Renditen einkaufen, sitzen andere erst einmal im Minus.
Um das Ausmaß der Kursverluste zu messen, hat der Finanzwissenschaftler Frederick R. Macaulay einst die gleichnamige Duration erfunden. Die sehr theoretische Größe errechnet sich aus Zinskupons und Rückzahlung und deren Zeitpunkten. Sie gibt in Jahren gemessen an, wann Anleger im Durchschnitt ihr Geld zurückbekommen. Frei übersetzt heißt das in etwa: Wenn man ein Papier länger besitzt als die Macaulay-Duration, hat man kein Zinsrisiko mehr. Theoretisch.
Seite 2: Die bessere Duration für die Praxis
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