- Von Lorenz Klein
- 06.10.2017 um 11:28
Pfefferminzia: Der Markt für Erwerbsunfähigkeitsversicherungen (EU) stagniere, konstatiert Michael Franke, Geschäftsführer des Analysehauses Franke und Bornberg, in einem Interview mit Pfefferminzia. Welche Schwächen weist die EU aus Ihrer Sicht auf und wo sehen Sie mögliche Stärken des Produkts?
Gerd Kemnitz: Die Schwäche der EU sehe ich in dem löchrigen Versicherungsschutz. Dazu ein Zahlenbeispiel: Entsprechend den Kalkulationsgrundlagen eines renommierten Versicherers liegt die statistische Wahrscheinlichkeit eines heute 20-jährigen Bäckers, innerhalb der nächsten 45 Jahre berufsunfähig zu werden, bei 72,8 Prozent – die Wahrscheinlichkeit, in dieser Zeit erwerbsunfähig zu werden, dagegen bei „nur“ 32,3 Prozent. Das ist zwar auch noch ein hoher Prozentsatz. Aber der Vergleich macht deutlich, dass viele Betroffene dieser Berufsgruppe zwar berufsunfähig werden und damit Job und Einkommen verlieren, aber von einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung trotz jahrelanger Beitragszahlungen keinerlei Leistungen erhalten werden.
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Was folgern Sie daraus?
Eine EU ist keine Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), sondern maximal eine unbefriedigende Notlösung. Der Abschluss einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass die versicherte Person den rechtzeitigen Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung verpasst hat.
Bietet das Produkt trotzdem auch Stärken?
Die Stärke gegenüber den anderen Notlösungen sehe ich darin, dass bei Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit Leistungen unabhängig von der Art der Krankheit oder Köperverletzung gezahlt werden.
In einem Gastbeitrag für Pfefferminzia aus dem vergangenen Jahr hatten Sie unter anderem EU-Tarife gefordert, die beispielsweise eine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit vorsehen. Inwieweit ist seither Bewegung in diese Thematik gekommen?
Nach meinem Wissenstand beobachten Analysehäuser, ob die Versicherer eine BUZ-Beitragsbefreiung in ihre EU-Tarife integrieren und würden dies dann auch als Bewertungskriterium aufnehmen. Die Versicherer dagegen sehen keinen Handlungsbedarf, solange ihre Tarife wegen der fehlenden BUZ-Beitragsbefreiung keine Abwertung durch die Analysehäuser erfahren. Das ist bequem für die gesamte Versicherungsbranche – und die Versicherten werden das Problem ja erst in einigen Jahren erfahren.
Welche Rolle spielt die EU in Ihrer eigenen Beratungspraxis?
Die EU-Versicherung spielt bei mir nur eine untergeordnete Rolle. Sowohl auf meiner Website als auch in meinen Beratungsgesprächen weise ich immer darauf hin, dass der frühzeitige Abschluss einer BU-Versicherung wichtig ist – also noch bevor gesundheitliche Beschwerden oder die Ausübung eines risikoreichen Berufs beziehungsweise eines solchen Hobbys den Vertragsabschluss teuer oder gar unmöglich machen. Außerdem spreche ich auf meiner Website auch die Nachteile einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung offen an, so dass diesbezüglich auch kaum Nachfragen kommen.
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